Bereits zwei Tage vor der Geburt war Ryoko sehr, sehr unruhig. Als ob sie gespürt hätte, dass es diesmal nicht so einfach sein wird wie beim ersten Wurf. Laut Gerhard (der Hundegynäkologe unseres Vertrauens) wäre der errechnete Geburtstermin am 3.9. gewesen, also noch alle Zeit der Welt (zumindest für zwei so aktive Menschen wie Tom und mich :-)) Aber ich war mir sicher, dass Ryoko das Wochenende davor wirft. So war es für uns nicht ganz so überraschend und wir Gottseidank mit den Vorbereitungen schon fertig … dachten wir zumindest … aber auf das, was dann kam, kann man nicht genug vorbereitet sein.
Die Wurfbox war bereits seit Donnerstag schlüsselfertig zur Übergabe und Ryoko hat am Freitag schon probegeschlafen, aber wie wir aus dem A-Wurf wissen – ohne Vorhänge geht nix und die mussten noch genäht werden. Ich wollte beim B-Wurf etwas adaptieren. Zuerst dachten wir an einen Zubau, immerhin erwarteten wir doppelt so viele Welpen. Aber dann kam mir die Idee, die Inneneinrichtung einem anderen Thema zu widmen. Die Wurfbox des A-Wurfs war passend zu meiner Monte Rosa Besteigung an Berghütten angepasst. Heuer wählte ich das Thema Meer — denn gerade heuer haben coronabedingt viele Leute danach Sehnsucht … 🙂
Also mussten neue Vorhänge her! Wir brauchten Muschelketten, Fische, Segelboote, Leuchttürme, Krabben, Seepferdchen und natürlich ein Fischernetz. Nicht die größte Herausforderung des Tages, wie sich herausstellen sollte, aber doch eine Schwierige. Ende August findet man in den Geschäften kaum noch mediterrane Sommer-Dekoartikel. Diese mussten nämlich den Halloween-Kürbissen (das sehe ich ja noch ein) und den Weihnachtsmännern (echt jetzt?! im August?!) weichen. Ich gurkte gerade von Geschäft zu Geschäft auf der Suche nach einem Fischernetz für meine Fotowand als gegen Mittag die Nachricht von Tom kam: „Sie wird heute werfen … 36,8“. Die Temperatur ist um 1° gesunken, ein zuverlässiger Indikator. Alle weiteren Anzeichen aus dem „ABC der erfolgreichen Hundezucht“ von Seite 79 sind so gut wie abgehakt:
⁃Absinken des Bauches – schon am Vormittag erfolgt
⁃Anschwellen der Gesäuge-Leiste mit Beginn der Milchbildung … konnten wir so nicht erkennen, aber die Zitzen waren riesig
⁃Vulva schwillt an … bis zum Schluss nicht passiert
⁃Absinken der Temperatur um 1° .. definitiv, sie war schon wieder am steigen
⁃leichter Scheidenausfluss
Ich war schon den ganzen Tag nervös, das Fischernetz war nur eine Ablenkung. Trotzdem war ich etwas enttäuscht, meine Aufgabe unerledigterweise abbrechen zu müssen und mit 60kmh durch die 30er Zone zu rasen. Zuhause angekommen waren die Vorbereitungstätigkeiten noch voll im Gange. Meine Eltern montierten gerade eine Hühnerstiege von der Terrasse in den Garten. Noch lange wäre keine Notwendigkeit für diese, aber was wir haben, das haben wir. Tom nähte gerade die Vorhänge mit dem Ankermuster fertig. Ryoko… Ryoko hechelte. Das tat sie schon seit Tagen. Ich machte mich an die Innendekoration. Wir wollten es ja für die Babies so hübsch wie möglich machen … das macht ja nichts, dass sie blind auf die Welt kommen. Die Mama und ihre Babies würden sicher das tolle Ambiente genießen und sich sofort wohl fühlen. Gegen 18:00 war die Wurfbox schlüsselfertig zur Übergabe bereit. Sogar das Fischernetz wurde von meiner Schwester nachgeliefert, so wie ein paar andere kleine Details. Sie hatte deutlich mehr Glück mit mediterranen Sommerdekorationsartikeln im SSV 🙂
Auch wenn meine Familie gern geblieben wäre, mussten wir sie fortschicken. Ryoko beruhigte sich nicht und es tat sich auch nichts Richtung Geburt. Sie brauchte jetzt alle Ruhe und wir mussten uns voll auf sie konzentrieren. Die letzten Vorbereitungen, wie das Einrichten der Kameras für die Liveübertragung, wurden abgeschlossen und der Sekt wurde eingekühlt … dann kam aber alles anderes.
Um 21:15 leitete der Ausfluss die Geburt ein. Ryoko wollte sich auch sofort in der Wurfbox einrichten und fing an, wie wild Nester zu bauen, sprich am Bodenbelag zu schaben. Die ersten Wehen kamen und dürften so schmerzhaft gewesen sein, dass sie die Wickelunterlagen, mit denen wir die Wurfbox ausgekleidet haben, in der Luft zerfetzte. Das war alles neu für uns … die Geburt des A-Wurfs verlief so friedlich! Und dann bemerkten wir das Blut auf den Laken. Sie hatte Blut im Ausfluss und das sollte definitiv nicht sein. Wir schalteten Tierarzt Gerhard ein und er bestätigte unsere Befürchtung. Er bat Tom nachzuschauen, ob ein Welpe im Geburtskanal bereits spürbar sei und gab Ryoko noch weitere 10 Minuten. Sollte da noch nichts passiert sein, müssten wir auf die VetMed … gesagt, getan, um 22:30 waren wir auch schon unterwegs, nachdem wir fluchtartig das Haus verlassen haben.
Als uns Willi und Elli (die Besitzer von Ayoko, Alagnas Schwester) Hilfe bei der Geburt angeboten haben, dachte wohl niemand daran, dass wir sie darum bitten werden müssen, blutigen Laken im Wohnzimmer zu versorgen und die verstörte Alagna und Vaishavi zu trösten. Sie nahmen Alagna dann auch mit zu sich.
Auf der VetMed angekommen wurde gleich mal mithilfe von Ultraschall abgeklärt, ob es den Welpen gut ginge. Alle hatten eine Herzfrequenz von 200, nur der Hinterste lag irgendwie schlecht, sodass sich diese nicht bestimmen ließ. Aber es schien mal keine akute Gefahr für Hündin und Welpen zu bestehen. Der Arzt klärte uns über die üblichen Risiken einer Operation auf und rief das Team für einen Kaiserschnitt zusammen, bevor er mit mir die Möglichkeit einer Kastration besprach. Das ging mir alles zu schnell! Wenn keine Gefahr besteht, warum warten wir nicht und helfen Ryoko bei einer natürlichen Geburt? Für mich war es das auf und um! Ich konnte mir einen Kaiserschnitt nicht vorstellen! Ryoko hat beim A-Wurf alles so wunderbar allein gemacht! Sie hat ohne viel Hilfe drei wundervolle Mädels auf die Welt gebracht. Nur bei Ayoko musste Tom a bisschen nachziehen, die war schon damals bockig und steckte etwas fest. Sobald die Welpen da waren, hat Ryoko die Fruchtbläschen mit ihren Zähnen zerrissen und die Nabelschnur mit den Backenzähnen durchtrennt. Dann kam das Trockenschlecken (bei so einer feuchten Zunge echt eine Kunst) und danach das Stillen – alles wie aus dem Lehrbuch! Und sie war bis zum Schluss die wundervollste Hundemama, die man sich nur vorstellen kann. Auch heute noch checkt sie ihre Töchter immer wieder auf Zecken ab, schleckt sie sauber und kuschelt mit Alagna, wenn diese es braucht.
Wenn sie nun aber einen Kaiserschnitt bekommt, wenn sie nie die Geburt durchlebt, wenn sie die Welpen nicht auspackt und die Nabelschnur nicht durchbeißt, wenn sie die Plazenta nicht auffrisst …woher soll Ryoko dann wissen, dass das ihre Babies sind? Die Milchproduktion, die ganzen Instinkte, das muss doch alles irgendwie geweckt werden! Ich kann ihr nicht sagen, schau das sind Deine Babies, jetzt akzeptiere sie! Bei Menschen ist das anderes, die verstehen das, und trotzdem haben viele Sectio-Patientinnen Probleme, ihre Neugeborenen lieb zu haben…wie soll das dann bei einer Hündin funktionieren. Aber der diensthabende Arzt schien da keine Bedenken zu haben. Sein Argument, dass wir die Hündin so oder so aufschneiden müssten, denn für alle sechs Welpen wird sie nicht die Kraft haben, sah ich ja ein und klar war, wenn Gefahr da ist, dann holen wir die Babies raus. Aber so lang es ohne ging bestand ich auf eine natürliche Geburt. Er meinte nur, das seien unnötige AmbulanzKosten … während wir uns fast schon stritten und schon fast am Weg in den OP waren, fing Ryoko auf einmal an zu pressen und ein grünes Kugerl schaute hinten raus – die intakte Fruchtblase des ersten Welpen! Sofort stürzte der Arzt unterstützend zu ihr und versuchte den Welpen rauszuziehen, sie zog ihn aber wieder hinein. Eine Zange musste her und unter durch herzzerreißendem Geheule begleitete Schmerzen holte der Tierarzt Ryoko den ersten Welpen aus dem Geburtstkanal. Alles war voller Blut, aber ein kleines Würmchen war auf die Welt gekommen und Ryoko kümmerte sich sofort um ihn. Leider ließ sich der Arzt den Job nicht nehmen und anstatt Ryoko ihre ersten Aufgaben machen zu lassen, zerriß er selbst die Fruchtblase und zerschnitt die Nabelschnur. Zum Glück durfte Ryoko ihren ersten Sohn zumindestens stillen und putzen.
In der Zwischenzeit packte das VetMed Team alles zusammen und machte sich wieder auf den Weg zum OP. Die Diskussion began also von vorne. Jetzt war doch ein Welpe da, geben wir ihr die Chance den Zweiten zu gebären. Die selben Argumente prallten wieder ab und ich griff zu härteren Mitteln. Mitten in der Nacht holte ich Gerhard ans Telefon und er bestätigte meinen Wunsch – die Hündin hat auf jeden Fall Zeit für einen Versuch. Von Fachmann zu Fachmann gelang es auch endlich, den Arzt zu überzeugen und wir wanderten zurück in die Gyn-Ambulanz. Die ganze Zeit hatte ich den einen Welpen in einem Körbchen mit mir herumgetragen. War ihm denn warm genug? Musste er nicht gestillt werden? Sollte er nicht seine Mama spüren? Ist das alles nicht sehr wichtig?! Aber für diese Überlegungen war jetzt keine Zeit. 10 Minuten später, aber auch unter großer Hilfe des Ärzteteams, kam die erste Hündin des B-Wurfs auf die Welt.
Ich war überglücklich. Es schien doch noch zu klappen. Vielleicht wird ja noch alles gut. Aber mit ihr war die natürliche Geburt leider zu Ende. Ryoko versuchte eine halbe Stunde später den dritten Welpen raus zu pressen. Er bewegte sich langsam im Geburtskanal nach vorne, aber man merkte schon, dass sie nicht mehr genug Kraft hatte. Die erste Geburt war einfach zu anstrengend und zu schmerzhaft. Irgendwann gab sie auf und hörte auf zu pressen und kümmerte sich liebevoll um ihre zwei einzigen Babies bis dahin. Da halfen auch keine wehenverstärkenden Spritzen und auch kein gutes Zusprechen von mir. Ich weiß, es ist nicht sehr sinnvoll, aber mit Tränen in den Augen und Verzweiflung in der Stimme rief ich ständig „Press, Ryoko press. Du musst pressen, Baby“. Nach einer Stunde wurde es akut. Die Fruchtblase von Welpe Nr.3 ist geplatzt, er war ungeschützt im Geburtskanal. Der Kaiserschnitt war nun fix. Warum trotzdem zur Abklärung nochmals ein Ultraschall gemacht wurde, habe ich nicht ganz verstanden, aber Hauptsache, sie taten alles, um Ryoko und die Welpen zu retten. Und das taten sie! Wir stapften mit Ryoko und den zwei Neugeborenen durch’s Dunkel der Nacht vom Gyn Trakt zum OP Gebäude und verabschiedeten uns mental von ihnen, hoffend, dass wir alle samt ihrer noch ungeborenen Geschwister gesund wieder sehen würden.
Und so war es! Nach 1,5h hielt ich sechs maulwurfsähnliche Würmchen in meinem Körbchen und wir fuhren mit der von der Narkose noch etwas benommenen Ryoko nach Hause.
Alles war gut … oder?
Auf der Heimfahrt ließ ich die Nacht nochmals Revue passieren … Was ist da eigentlich passiert? Warum ist es passiert? Haben wir etwas falsch gemacht?
Der erste Rüde lag zwar mit Kopf nach vorne im Geburtskanal, aber anstatt seine erwartete Superman-Pose einzunehmen und raus zu flutschen, wollte er mit den Vorderbeinchen nach hinten gedreht auftauchen. Dadurch war er aber im Schulterbereich deutlich breiter als geplant. Zusätzlich kam noch, dass er der schwerste Welpe im ganzen Wurf war und der Geburtskanal noch nicht vorgedehnt. Er steckte also fest. Pech. Und dann wurde mir bewusst, was wir noch getan haben … wir ließen Ryoko im Zuge des Kaiserschnitts kastrieren. Aber warum eigentlich? War es denn notwendig? Sprach klinisch irgendwas dafür? Und welche Folgen hatte es? Konnte sie noch alle Hormone produzieren, die sie brauchte, um die Welpen gut aufzuziehen? Würden denn alle mit der Welpenaufzucht zusammenstehenden Instinkte weiterhin funktionieren? Die damit zusammenhängenden Gewissensbisse beschäftigten mich noch ganz lange … ich weiß, man kann es nicht mehr rückgängig machen und ich weiß, es ist wahrscheinlich das Beste für Ryoko … aber so einen Eingriff in ihren Hormonhaushalt, in ihr Wesen, in ihre Natur hätte ich einfach gern in Ruhe und mit genug Zeit zum Abwiegen getroffen und nicht unter so einem psychischen Stress. Ich kam mir etwas überrumpelt vor.
Zuhause angekommen legten wir die Welpen in die Wurfkiste … und beobachteten wie die komplett verwirrte Ryoko das ganze Haus absuchte … offenbar nach ihren Welpen. Panisch lief sie von Stockwerk zu Stockwerk und grub jedes Hundebett um. Sie baute immer noch Nesterln. Schließlich beruhigte sie sich und ging zu den Welpen, die sie säugte und pflegte. Und so ging das die nächsten Tage weiter. Sie war einerseits die fürsorgliche Ryoko, die in der Wurfbox stillte und dabei ganz brav alle Welpen putzte und ihnen das Bauchi massierte, um den Reiz sich zu lösen zu stimulieren. Dann schleckte sie alles auf, was die Welpen von sich gaben. Auch das Kacki wurde aufgegessen, ganz wie es sich gehörte. Sobald sie aber mit ihrer Pflicht fertig war, verließ sie die Wurfbox und suchte das Weite. Sie ging in den Garten und fing an wieder Nesterln zu bauen. Sie versteckte sich unter der Poolstiege, da wo sie nie liegt außer ein paar Tage vor der Geburt. Mit Leckerlies ließ sie sich nicht rauslocken, und als ich zu ihr drunter krakselte, um sie rauszuholen, brummte sie mich an. Ryoko hat mich noch NIE angebrummt! Ich hatte Angst, sie würde die Welpen ablehnen. Ich hatte Angst, sie würde nicht genug Milch produzieren, ich hatte Angst um die Welpen, … Sorgen und Ängste, das sollte wohl diesen Wurf begleiten …
Aber hier trifft wohl „Zeit heilt alle Wunden“ ganz gut zu. Ryoko brauchte einfach nur Zeit. Sie hatte sicher Schmerzen, so ein Kaiserschnitt und eine Kastration sind große Eingriffe. Zwei Tage hintereinander bekam sie auch Schmerzmittel, mehr wollten wir ihr aus Rücksicht auf die Welpen nicht geben. Aber die Wundheilung war erstaunlich gut und auch die saugenden Vampierchen taten ihr nicht sehr weh. Das Zweite, das sie plagte, war Durchfall, den sie nicht kontrollieren konnte. Wir mussten ganz viel raus mit ihr und trotzdem löste sie sich ab und zu mal in der Wurfkiste. Die Arme war hinten schon ganz wund. 🙁 Gerhard meinte, das könne mit dem Stress der Narkose zusammen hängen.
Mit der Zeit wurde aber alles besser und wir konnten langsam das Wunder dieses Wurfs genießen. Denn je mehr ich mit Leuten sprach, desto bewusster wurde mir, wie viel Glück wir beim A-Wurf hatten, dass alles so reibungslos verlief und wie viel Glück wir auch beim B-Wurf hatten, dass es Mutterhündin und den Welpen trotz Komplikationen so gut ging.
Das Einzige, was sich nicht mehr gab, war Ryokos Flucht vor der Wurfbox. Sie ging regelmäßig rein, reagierte auf das Fiepsen und Rufen der Welpen, stillte und putze alle ganz brav. Nur sobald sie fertig war, verließ sie die Box und auch meist das Zimmer. Sehr oft legte sie sich in die Küche zu den anderen zwei Wuffis. Das wäre beim A-Wurf unvorstellbar gewesen.
Die Schmerzen konnten es nach einiger Zeit nicht mehr sein. Eine interessante Theorie stellte unser Tierarzt auf, als er meinte, sie hätte zwar mit der Geburt angefangen, aber diese durch den Kaiserschnitt nie abgeschlossen. Oder waren es doch die Hormone? Oder war es einfach, weil sie schon routinierter als beim ersten Wurf war und ihre Instinkte ihr eh sagten, wann sie die Welpen brauchten? Mit sechs kleinen Rackern war die Box ohnehin sehr voll, da hatte sie nicht wirklich viel Platz. Sie musste auch definitiv immer wieder raus, um Milch nach zu produzieren. Die Vampire würden sie sonst komplett leer saugen. Vielleicht war also alles komplett in Ordnung und normal und wir vermissten nur diese idyllischen Bilder der mit den Welpen kuschelnder Mutterhündin aus dem A-Wurf.
Oder – meine Theorie – ihr gefiel einfach das mediterrane Interieur der Wurfbox nicht! Akitas sind Schneehunde, keine Wasserratten. 😉